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Tag 9 – 26. März 2012

Es geht an die Umsetzung
Wir haben uns für späte Proben entschieden. Der Arbeitstag beginnt heute für uns erst um 14h und geht dafür bis 22h. Nach dem Tagebuch-Leseritual kommt das Aufwärmspiel: Löwe-Oma-Samurai! Dabei handelt es sich um eine abgewandelte Form des Schnick-Schnack-Schnuck, bei der man sich in Gruppen gegenübersteht, und eine der drei Rollen einnimmt. Der Samurai gewinnt gegen den Löwen, der Löwe gegen die Oma und die Oma gegen den Samurai. Gar nicht so leicht zu merken. Wer gewinnt, muss die anderen schnell fangen, bevor sie die Wand hinter sich erreicht haben. Hannah und ich starten im selben Team, aber nachdem wir erstmal alle dieselbe Figur gemacht haben, überraschen uns Karo und Matze mit dem Samurai gegen unseren Löwen und Hannah wird gefasst und muss ins Gegenteam wechseln. In den nächsten Runden ziehe ich mich mit mir selber in die Beratung zurück. An diesem Spiel ist interessant, wie die Bedeutung der eigenen Entscheidung komplett in Abhängigkeit der Entscheidung der anderen steht. Der Löwe kann eine super Wahl sein, aber nur wenn die anderen die Oma wählen. Gehen sie ‘Haiaaa!’ in die Rolle des Samurai, bedeutet das die Niederlage, es sei denn man rennt schnell. So wie ich. Ich verliere mehrmals, kann aber jedesmal entkommen und mir schließlich sogar Karo und Matze auf die eigene Seite holen. Am Ende schnappen wir auch Hannah und das Spiel endet, da es kein Gegenteam mehr gibt. So. Aufgewärmt sind wir jetzt.

Nun geht’s weiter in die Spielentwicklung, mit der wir bereits am Freitag angesetzt haben. Hannah und ich sind in einem Team, Karo und Matze in dem anderen. Es geht darum, einen Spielanfang, eine Idee, einen Ausgangspunkt, vielleicht eine Geschichte oder ein Spielziel zu entwickeln. Auf diese Weise wollen wir einfach mal ins Machen und Ausprobieren kommen. Während das andere Team schon im Theaterraum mit Aufbauten beginnt, sitzen wir draußen im Foyer und denken nach. Aber die Katze beißt sich die ganze Zeit selber in den Schwanz: Um zu wissen wie es anfängt, müssen wir wissen wie es enden soll. Denn man will am Anfang ja schon etablieren, was man später nutzen, wo man hinführen will. Aber sich das Spielziel ad hoc auszudenken funktioniert auch einfach nicht. Alles ist zu komplex oder zu platt. Einfach mal machen! Sagen wir uns, zwingen wir uns. Aus dem Saal schallen schon Musik und Sounds der anderen Gruppe. Mist, wir brauchen auch so was. Ich muss mal kurz rein in den Saal, Bastelmaterialen holen. Ich Spionin. Da drin sieht’s schon spannend aus. Und kurz darauf sind Karo und Matze auch ‘schon fertig’!  „Wir wissen grad nicht mehr weiter, können wir euch das jetzt mal zeigen. Noch vor der Pause wär doch gut. Kommt jetzt mal.“ Aber wir weigern uns. Wir müssen doch auch noch fertig vorbereiten: Unser Zukunftsszenario mit der Ankunftshalle im Jahre 2050, bei der wir Ausweise ausstellen, mit echtem Fingerabdruck und Haarprobe, sowie IQ, DNA-Defizit, Fitnesslevel und Fruchtbarkeit, die jeweils aus einem Glas gezogen und dann in den Pass eingetragen werden. Wir werden an langen Tischen sitzen und den ausgestellten Ausweis an die Besucher zurückgeben mit dem Hinweis, gut auf diesen aufzupassen weil er später nochmal wichtig wird. Wofür? Wissen wir noch nicht. Aber egal. Und dann kommen die Besucher in ein Gericht, werden verurteilt. Zu irgendwas. Auf jeden Fall geht es um verlorene Zeit, die sie sich wieder erspielen müssen. Auf was einfaches runterbrechen, haben wir uns nämlich gedacht. Nicht zu komplex. Die Kraft liegt in der Einfachheit. Also, machen wirs wie beim Monopoly, nur geht es nicht um Geld, sondern um Zeit. Das ist einfach, das versteht man schnell. Also eine Theaterspielszene und danach kommen die Teams in den Zeittunnel, werden in die Gegenwart transportiert und müssen ein Relikt in den Altpapiertonnen finden, auf dem ein Name, ein Datum (das älteste gewinnt) und der Grund für die Verlorene Zeit erkenntlich sein müssen. 60 Sekunden! Die Differenz der Zeit wird dem Gewinnerteam gutgeschrieben. So denken wir uns das.

Aber erstmal zeigen uns Karo und Matze dann doch ihre Versuchsanordnung noch vor der Pause. An der Tür bekommen Kinder und Erwachsene jeweils Proviant zugeteilt, von dem nicht klar ist, ob man ihn schon essen darf oder nicht. Irgendwie auch ganz witzig, vielleicht braucht man ihn später noch, vielleicht auch nicht. Ich lutsche einfach schonmal mein Bonbon. Außerdem dürfen wir noch einen persönlichen Gegenstand aussuchen, den wir mitnehmen können: ein Buch, einen Becher, Tee oder ein Pazz-Programm, … die werden doch sicher später nochmal wichtig, richtig? Und dann geht es ab in die Zeitmaschine. Einen Tunnel. Wir gehen hinein, plötzlich ist es stockduster, aus einem alten Radio tönen Worte, wir reisen durch die Zeit. Beruhigende Worte von unseren Flugbegleitern Matze und Karo aus der Dunkelheit. Es ist gut, dass sie da sind, ein bisschen unheimlich ist es ja schon gerade. Und dann sind wir da. In der Nicht-Zeit von der aus wir auf alle Zeiten gleichzeitig blicken können. Lichtkegel, die Räume in den verschiedenen Ecken des Theaters schaffen. Wir werden von unseren Begleitern durch die Zeiträume geführt: 1970, in 1990 flickert ein Fernseher, 2020 eine Windmaschine. 2050 eine spacige Lichterkette. In dieser Zeit gibt es keine Kinder mehr.

Ja, und hier ist es dann erstmal vorbei. Was jetzt genau passiert, was in den Räumen für Zustände bestehen, was die Besucher tun sollen bzw. können, wo das ganze hinführt: Tja. Fragezeichen. Aber erstmal Möglichkeiten. Bevor wir in die Pause gehen werten wir aus: Wir sind vor allem beeindruckt davon, wie schnell doch eine Atmosphäre entstehen kann, durch Sounds, durch die Zerteilung eines Raums durch Vorhänge, besonders aber auch durch Licht. Es macht Spaß, als Gruppe gemeinsam in die Welt hinein zu gehen, und nicht sofort getrennt zu werden. Die Kinder können sich erstmal noch am Rockzipfel der Eltern festhalten, wenns doch kurz ein bisschen zu gruselig wird.

Alles klar. Pause. Dönerbude. Matze macht bei seiner Bestellung alles falsch und wird richtig grantig. Tja, das Leben ist kein Wunschkonzert.

Um 18h treffen wir Winnie und damit endet die Pause auch wieder. Stand-der-Dinge und Orga-Gespräch. Wir erzählen von unserem Prozess und zeigen Karos und Matzes Aufbau.

Danach sind Hannah und ich dran. Die anderen sollen endlich raus aus dem Raum, damit wir in Ruhe vorbereiten können und noch den Überraschungs-Effekt auf unserer Seite haben. Das Kind in uns wird wach. Das Aufbauen, Vorbereiten, Entscheidungen-treffen: Okay, dann mach ich das und du das – das alles macht schon ziemlichen Spaß. Schließlich empfangen wir Karo und Matze in unserer Ankunftshalle, stellen ihnen den Ausweis aus und dann muss Hannah schnell rüber in den anderen Raum, das jüngste Gericht, während ich auf einem mobilen aber ruckeligen Techniktisch den Sound nach drüben schiebe und dabei einen Text ins Mikro spreche, der die Welt im Jahre 2050 beschreibt. Richterin Hannah winkt die Besucher zu sich unter die Tribüne. Hier werden die Regeln erklärt, es geht darum, Zeit aus der Vergangenheit wieder zu gewinnen. Dann ab in die Zeitschleuse und in das Jahr 2012. Aus den blauen Altpapiertonnen vor der Tür suchen Karo und Matze die Relikte, die sofort ausgewertet werden. Karo hat ein Relikt mit dem Datum… gefunden, von …, eine Telefonrechnung. Zeitverschwendungsgrund: die Zeit wurde vertelefoniert!

Wieder wird ausgewertet.

Auch hier hat die Atmo Spaß gemacht und der Weg durch die verschiedenen Räume hat etwas Geisterbahnhaftes. Und das Interaktive erstmal als eine Interaktion mit dem Zuschauer/Besucher betrachtet, gefällt uns auch. Nicht direkt ins Spiel müssen, machen müssen, aber trotzdem eingebunden sein, drin sein, dabei sein.
Wir halten verschiedene Aspekte und Ideen fest, die wir uns merken wollen, für die weitere Entwicklung, unsererer interaktiven Spieldebatte:

–        mögliche Spielziele: Vertragspunkte erspielen, verlorene Zeit finden
–        Atmomöglichkeiten: Wind, Nebel, Zeitsounds, Lichträume, Off-Stimme (verzerrt)
–        Zeittunnel, Zeitmaschine, Raum ohne Zeit, Zeitinseln
–        Figuren: Flugbegleiter
–        Proviant
–        Dia-Vortrag
–        Institution, Meldeamt, Ausweis erstellen
–        Reise aus der Zukunft in die Vergangenheit 2012, die von Spielern verändert werden muss
–        Realitäts-Spiele, mit realen Einsätzen

Wir unterhalten uns weiter über mögliche Spielziele und Spielbehauptungen. Möglichkeiten wären: Am Anfang Zeit zu vergeben, die man benutzen kann, oder: Die Eltern haben die Natur zerstört oder: Im Jahr 2050 gibt es keine Kinder mehr. Vielleicht geht es um die Eltern-Kind-Beziehung, das jeweilige Loslassen, erst der Eltern von den Kindern und später die Kindern von den Eltern. Wir kommen immer wieder auf die Frage: Was ist den eigentlich der Konflikt zwischen Kindern und Eltern. Sind es die Erwartungen der Eltern, die immer an die Zukunft ihrer Schützlinge denken, vielleicht auch weil sie sich selber über ihre Kinder definieren? Und als Kind will man eher im Jetzt als im Morgen leben und die Zeit fühlt sich mehr breit als lang an. Was sind Erziehungssprüche der Eltern, jene Regeln, die man von Kind an abbekommt, so wie: Wenn das alle machen würden….

Kann das Kind nicht einfach mal ne Blume pflücken? Wir sollten mal einen Eltern-Kind-Beziehungs-Pool erstellen, in dem solche Sprüche festgehalten werden.

Für den nächsten Tag nehmen wir uns vor, in Einzelarbeit ein paar Texte zu schreiben, in denen wir die Recherchen, Ideen und Visionen der vergangenen Tage verarbeiten, um auch ein bisschen literarisches Material zum Weiterarbeiten zu haben.

Außerdem kommt ja Jan Deck und wir würden gerne verschiedene Spielziele entwickeln, vielleicht hilft uns seine dramaturgische Sichtweise von außen, um uns etwas zu ordnen. Eine weitere Idee ist, einfach mal Spielregeln zu ‘übersetzen’, also sie inhaltlich auf das Zukunftsthema anzupassen und zu schauen, ob dabei interessante Konstrukte und Ideen entstehen.

Nun ist es schon nach 22 Uhr und wir beschließen im ‘Marvin’ noch etwas trinken zu gehen. Dort testen wir spontan die Spiele ‘Mikado’ und ‘Jenga’, bei denen beiden motorisches Feingefühl erforderlich ist. Und danach reicht’s. Wir sind müde.