Woche 1

Die dritte Woche unserer Residenz hat viele wichtige Fragen aufgeworfen – auch im Hinblick darauf, wie wir arbeiten wollen, was jede von uns für ihren kreativen Flow braucht und welche Rollenverteilung wir uns gut vorstellen können. Ausgehend von diesen Fragen und einigen wichtigen Gesprächen, in denen wir uns ihnen angenähert haben, beginnen wir die vierte und letzte Woche mit einer neuen Arbeitsstruktur:

Nach dem gemeinsamen Frühstück, das wir auch dafür nutzen, beieinander “einzuchecken” und wichtige Fragen für den Tag zu klären, begibt sich jede in dieser Woche zunächst in eine etwa drei- bis vierstündige Einzelarbeit.

Danach folgt gegen späten Nachmittag/frühen Abend eine gemeinsame Zeit, in der wir uns unsere Prozesse aus der Einzelarbeit vorstellen, gemeinsam weiterarbeiten, Verknüpfbares zusammenführen und besprechen, wie wir am nächsten Tag weiterarbeiten wollen.

In dieser Verfahrensweise arbeiten wir im Hinblick auf unser Making Off am Freitag an folgenden Elementen:

Einer zehnminütigen Meditation, mit der wir zu Beginn des Abends den Blick zuerst auf das Publikum richten und es einladen und öffnen wollen dafür, uns Spielerinnen als Projektionsfläche, Unterhaltung, Ablenkung, Gesprächsthema, Referenz usw. zu benutzen. Verbunden mit der höflichen Frage, ob wir im Gegenzug das Publikum auch benutzen dürfen – etwa für unseren Wunsch gesehen zu werden oder aber, so denn applaudiert wird, für unser Gefühl von Relevanz und Anerkennung?

Wir arbeiten außerdem an einer Art Nachrichtenformat mit PowerPoint Präsentation, die dem Publikum einen möglichst schnellen Einblick in unsere Welt geben soll.

Wir schreiben ein Manifest – nämlich das der Swimmingpoolistinnen, in dem sie ihr nutzloses und nichtiges Dasein lobpreisen. Das ganze wird als Audio eingesprochen, mit Sound und dann auch noch mit einem mysteriösen Video von einem einzelnen Schwimmflügel in einem dunklen Teich unterlegt.

Wir entwickeln eine Szene zur Veranschaulichung der Beziehung von Werbabies und professionellen Müttern: Eine von vier Personen, die sich vor dem Publikum in Werbabies verwandeln, schafft die Rückverwandlung nicht und kriecht mit allerletzter Kraft zu einer übergrößen Mutter-Puppe. Diese besteht aus einem großen aufblasbaren Kissen, das in ein rotes Gewand gehüllt und von einem Kopf gekrönt ist, der aus einer ovalen Scheibe besteht, auf die ein Video eines Spielerinnengesichts projiziert wird. Ein Audio mit einem kurzen, intim anmutenden Text einer professionellen Mutter wird eingespielt.

Es entsteht außerdem ein Video zum Thema der Fabrik: In schwarz-weiß und sehr collagenhaft mit schnellen Schnitten werden ungewöhnliche Perspektiven und Einstellungen auf eines der örtlichen Windräder, einige Leitungen, Kabel und Gerätschaften, unzuordbare Innenansichten von Röhren, sowie Knöpfe drückende Finger gezeigt.

Wir schreiben und proben die Szene “Tod im Spiegel”, in der eine Person behauptet, gestorben zu sein, die daraufhin von ihrer Freundin, die ihren Tod bestätigt, versorgt werden muss. Ein surreales Setting, das wir unterstreichen, indem wir spielerisch testen, wie die Szene funktioniert, wenn die Zuschauenden die mit dem Rücken zum Publikum gewandte Gestorbene nur über einen Spiegel sehen. Wir animieren den Spiegel, der es der Toten so ermöglicht, Emotionen zu transportieren und auch ihren gespiegelten Kopf der neben ihr stehenden Freundin zuzuwenden.

Und zu guter Letzt arbeiten wir auch an einer längeren Szene rund um die Swimmingpoolistinnen. Das Publikum wird hierbei eingeladen, sich mit einer Person zu identifizieren, die gerade aufgrund ihrer Werbabyanfälle ihren Job verloren hat und nun nicht recht weiß, wie es weitergeht im Leben. Bis sie Nachricht von einer Swimmigpoolistinnen-Gruppe bekommt und sich kurzerhand entscheidet, sich ihnen anzuschließen. Die Zuschauenden werden dann Zeug:innen eines Initiationsrituals, in dem die mit Badeanzügen und Tentakelfingern bekleideten anderen Gruppenmitglieder, die Neue dazu ermuntern, all ihre Bedürfnisse nach Produktivität im klebrig süßen Saft der Nutzlosigkeit zu ertränken. Nun ebenso mit Tentakelfingern, Schwimmflügeln und einem Drink mit langem Strohhalm/Schlauch ausgestattet kommt sie neben den anderen in einem kleinen, aufblasbaren Pool zum sitzen. Und es entwickelt sich ein Gespräch, das sowohl ihr als auch dem Publikum Einblicke darin verschafft, wie diese Swimmingpoolistinnen miteinander reden, die treiben, statt zu arbeiten und sich näher kommen, anstatt sich zu entschuldigen.

All diese Elemente entwickeln und verbinden wir im Verlauf der Woche zu einem Programm, das wir am Freitag im Making Off vor einem kleinen Publikum präsentieren.

Das Publikum ist interessiert, freut sich besonders über die Einstiegsmeditation, die Spiegelszene und die Szenenabfolge der Swimmingpoolistinnen am Ende, ist ansonsten immer mal auch etwas verstört ob der Düsterheit der dystopischen Motive und gibt uns aber in jedem Fall sehr nützliches Feedback. Wir merken gemeinsam mit den Zuschauenden, welche Fantasien/Ideen/Spielweisen auch für uns schon die konkretesten sind, und bekommen gute Anhaltspunkte dafür, wie wir unseren Stoff trotz seiner Schwere noch zugänglich gestalten können. Vor allem der Vergleich mit unserer Mini-Werkschau aus der vorletzten Woche und den diesbezüglichen Eindrücken von Anja, Thomas und India gibt uns eine gute Orientierung – wir haben nun ein ganzen Spektrum der Wirkungsmöglichkeiten von düster bis leicht, selbstironisch bis verzweifelt, tiefschürfend bis erleichternd (etc.) vor uns und können selbst ermessen, für welchen Aspekt unserer Arbeit wir welche Mischung als passend erachten.

Nach einem langen und nochmals aufschlussreichen Abschlussgespräch mit Felix von Flausen, sowie mit Thomas, Anja und India verabschieden wir uns vom Jahrmarkttheater. Mit viel Dankbarkeit und dem Gefühl, bei unserer Suche nach einer passenden Kollektivstruktur und den Stoffen und Spielweisen, die uns anregen, erheblich weitergekommen zu sein. Danke an Flausen und danke an das Jahrmarkttheater mit allen Beteiligten!