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FRONTEN

In den vier Wochen ihrer Forschungsresidenz beschäftigen sich die Mitglieder von internil am Beispiel des Ukrainekonflikts mit den propagandistischen Potentialen unterschiedlicher Erzählformen. Für jeden der vier Arbeitsblöcke berichtet ein anderes Mitglied vom Forschungsprozess. Den zweiten Arbeitsblock von insgesamt 8 Tagen teilen wir in 2 Log-Bücher auf.

FR 10.06. (Tag 5)
Sind vor einer Woche angekommen. Suse ist krank, CB nicht da, Abgabe Logbuch vorbereiten AV, Arbeitsplan bis inkl. Montag machen. Odessa-Artikel Brand im Freitag von Marina lesen. Reflexion: zu viel auf einmal bislang (Inhalt, Recherche, Präsentation, Erzählform ausprobieren). Gut aber stressig: alle arbeiten für sich, dann kommen alle für Präsentationen zusammen, kurze Intervalle. Individuell mal mehr Fokus auf Form, mal auf Inhalt. Wichtig: festlegen, wann Materialsammlung beendet ist.

SA 11.06. (Tag 6)
Aufwärmtraining KH, Aufwärmtraining MMD, CB, AV. Gemeinsam Karate. Fortsetzung und Vertiefung der Recherche vom Vortrag. Ich frage mich, ob ich die MH17 Geschichte mit der der ukrainischen Pilotin Nadija Sawtschenko verbinden könnte. MMD Präsentation endet auf einem „Gang der Schande“ Video.

SO 12.06. (Tag 7)
Aufwärmtraining KH, Aufwärmtraining MMD, CB, AV. Gemeinsam Karate. Wir singen die ukrainische Nationalhymne. Theoretische mini-Präsentation über die Formate Doku-Fiktion, Doku-Drama und Living History kommt mittelgut an. Einzel-Recherche, Themenvertiefung, Geschichtenschreibstube. Versuche mit Soundmasken. Was ist eine PowerPointPräsentation im Jahr 2016? Abends aufgrund von mäßigem Internet nur live Ticker für EM Spiel Deutschland – Ukraine.

MO 13.06. Suse // Winfried // Mareike (Tag 8)
Aufwärmen, Zugverspätung. 1. Tag mit unserer Mentorin Suse. Wissenstransfer FAKT #1: Frau Slomka, die Nachrichtensprecherin vom ZDF heute Journal spricht richtig fies. Wissenstransfer FÄHIGKEIT #1: wir üben einen afrikanischen Jodelkanon ein. Suse erzählt uns die Ochsengeschichte, wir erzählen dann auch jeweils die Ochsengeschichte. Weitere FAKTEN folgen: Ochsengeschichte ist ein Schwank (oder eine Wahrheitsgeschichte?); Reihenfolge Bennennung Figur: Heldin / Held zuerst, Hierarchie durch Chronologie; bei Schwenk wird zuerst vorgestellt, wer dann ausgetrickst wird. So stellt man geschickt Fragen ans (junge) Publikum: „Wer von euch möchte wissen, was ein Förster ist?“ Es gibt Geschichten, die zu kurz um sie für Erklärungen zu unterbrechen. Suse erzählt die Geschichte von den zwei Mönchen und der jungen Frau. Warum erzählen wir Geschichten? Um die Herzen der ZuhörerInnen zu öffnen.

Dazu kommen Winfried und Mareike. Wir stellen vier Konzepte zu Erzählungen vor, mit denen wir angefangen haben zu arbeiten. Gut, dass erst Tag 8 ist.

Protokoll 14. Juni; 1. Akt Exposition

M: Gestern war geil. Weitermachen.
K: Schön war’s.
A: Schön war’s.
C: Ja. Erzählen von Geschichten ist ein klares „Einsatzgebiet“.
A: Ja, mal schön was mit geschlossener Form zu arbeiten.

Die Gruppe überlegt, ob man Suses Übungen auf das Themenfeld MH17 / Euromaidan anwenden kann. Danach:

C: Wollen wir anfangen.
A: Ok.
K: Vielleicht kurz noch die Feedbackrunde von gestern besprechen?
Gruppe: Ok.
A zu M: Du erzählst persönliche Geschichten und du brauchst noch Handlung.
M: Daran arbeite ich gerade.
A: Das ist Arbeit!

(Ein Witz von Arne  – alle lachen.)

C: Apropros Witz. Ich glaube, ich sollte mehr Witz einflechten, hat Suse auch gesagt.
A: Nee. Du bist schon witzig genug.  Ich sollte mehr Witze machen.
C: Ich glaube, ich werde manche Ideen von gestern nicht weiter verfolgen.
A: Ich glaube, als Übung könnte das interessant sein.
C: Ja.
C: (zu K.) Ich glaube, eine Inszenierung der Inszenierung des Joint Investigation Teams funktioniert nicht ohne Wirklichkeitsanbindung.
K: Ja. Ne klar. Ok, Arbeitsplan? (Kein Reaktion. Darauf fängt sie an den Plan für heute vorzustellen) Ok, jede/r öselt vor sich hin.

Die Gruppe wiederholt woran sie arbeiten. Darauf:

A: Das erinnert mich an George Suros. (Arne improvisiert einen inhaltlich beeindruckenden Text über den amerikanischen Freiheitsfanatiker.)
M: Ich könnt jetzt loslegen.
C: Ich habe mich im Protokoll etwas besser dargestellt.
M: Dafür schreibt man das doch.

Arbeitsbeginn 12 Uhr. 19 Uhr K. und M. ab. A. arbeitet weiter. C. schreibt Protokoll.
19:45 Uhr bekommt C. eine SMS von M: „Haben uns noch ein Bier geholt, für euch keins…“

Szenenwechsel. Mi 15. Juni;  2. Akt Steigerung / Komplikation

Alles beginnt wie immer: Dehnen – 7 Steps to Heaven (ein Kraft- und Halteübung) – Karate – Singen.
Es folgt die Besprechung:

A: Ich würde erstmal so weitermachen und später zum Copyshop. Brauch wer was?

Keine Reaktion.

M: Brauchen wir eine lange Kaffeepause?
K entnervt: Meinetwegen so wie gestern.
M: Ich hab Lust heute die Story zu erzählen.
K (unklar ob zynisch oder aufrichtig): Da freu ich mich drauf. Ich frag mich, wie krieg ich das alles hin in diesem Raum, mit den Karten den Zetteln und und und…

Arne summt ein Lied. C. hält sich – wie so häufig – aus dem Gespräch und schreibt Protokoll.

K: So wie im Theaterdicounter? Fuck – echt keine Ahnung mit dem Raum.
M (versucht vergeblich gute Stimmung zu verbreiten): OOOOOOh. Das war so schön im TD.
K (steht auf und schreit): Ich brauche heute mal Abwechslung, sonst sitze ich hier wie ein Ochse und schlafe ein.

K ab. Der Rest tippt irgendwas auf dem Computer.

5 min. später:  K Auftritt mit Kaffee in der Hand. Tut so, als wäre nichts gewesen.

K: Suse ist auch älter, deswegen redet die so gut.
A: Deswegen finde ich es auch gut, wenn M. ihre Haare schneidet. Dann sieht man die Grauen besser.
M. ab. Dabei versucht sie zu stampfen.

Stille.

C. (versucht das Gespräch in eine andere Richtung zu lenken): Es passiert einfach nichts, wo ich weiter denken möchte.

Stille.

C: Möchte einer das Ei?
K (sofort): Gib.

A. stöhnt.

Gruppe (ohne Marina) isst.

K: Möchte jemand Salat? Ich möchte nicht die Ei-Situation reproduzieren.
A. entnervt ab. C. lässt den Kopf hängen.

Szenenwechsel. Einige Stunden später am Tag.

Marina hat ihre Story erzählt, die Gruppe gibt Feedback.

A: Präteritum um Handlung zu entwickeln. Gegenwart um Bild hervorzuheben. Perfekt für Alltagssprache. Welche Funktion hat die Skat-Geschichte. Keine? Dann weg. Wieso sollte mich interessieren, was die Eltern von XY studiert haben? Weg damit. Außerdem ist die Erzählhaltung unklar. Du tust so als sprichst du mit uns dabei guckst die ganze Zeit auf den Bildschirm? Soll ich denken, dass wir das Internet sind?

K. lacht genüsslich. C. versucht irgendwie am Tisch zu sitzen ohne der Situation beizuwohnen.

K: Totally!

A: In der Krise geht es nicht um Freundschaft. Außerdem solltest du dem Hörer konkrete Zeitangaben liefern, damit er sich in der Geschichte orientieren kann. Sonst entstehen einfach keine Bilder in meinem Kopf.

K. lacht wiederholt genüsslich. C. versucht immer noch irgendwie am Tisch zu sitzen ohne der Situation beizuwohnen.

K: Apropos Tempus. Überleg dir was wie: „2014 haben alle Club Mate getrunken.“ Aber bitte bitte nicht: 2014 habe ich, 2015 habe ich, 2059 habe ich…
M (unterbricht): Schon klar.
A: Außerdem muss man sich überlegen wie man mit Zeit umgeht. Du brauchst kein filmisches Erzählen. Und dann keine „Und-Dann-Dramaturgie“.

K. lacht ihr genüssliches Lachen. C. versucht wiederholt irgendwie am Tisch zu sitzen ohne der Situation beizuwohnen.

Szenenwechsel. Do 16. Juni; 3. Akt Climax

Kein Aufwärmen. Keine Karate. Kein Singen. Keine Routine. Man sitzt beisammen und redet über Dinge, die man verwirklichen möchte und über mögliche Inszenierungsmomente. Allgemeine Stimmung: schlecht. M., C., K., machen sich auf in die Küche um einen letzten Kaffee vor dem Arbeitsbeginn zu brauen.

K: Lungo?
C: Ja. Mit Milch. (Etwas zu spät) Danke.
K: Gerne.

K. müht sich eine Art Lächeln ab.

A (versucht die Situation zu entspannen): Ich ohne Milch.

A., C., K., schweigen.

A: Danke.
C. (wie aus dem Nichts, mit kräftiger Stimme): Könnte ihr heute mal die Spielchen sein lassen und einfach eueren Job machen.

A. haut C. eins auf die Fresse. C. ist ohnmächtig.

M zu A: Also doch noch Karate, du Erklär-Bär.

M. geht  mit dem japanischen Laut „ous“ in die Kampfposition. M. tritt A. das linke Knie weg. A. sinkt zu Boden und versucht sein Gesicht zu schützen. M. ist das zu blöd und tritt voll durch die Deckung. A. liegt röchelnd in einer unterwürfigen Geste am Boden. K. schützt ihren Bauch.

M: Ich schlag keine schwangeren Frauen.

K. nimmt eine Pfanne und zieht sie M. voll durch ihre Visage. K. überlegt noch kurz, ob sie auf A. oder C. spucken soll. K. ab.

4. Akt; Retardierendes Moment

Am nächsten Morgen liegen A., C., K., noch immer bei der Kaffeemaschine. C. kommt auf Grund eines nervig herumschwirrenden Insekts wieder zu Bewusstsein. C. kriecht zu A. und weckt ihn sanft.

C: Was kommt noch mal nach der Steigerung?

A. bemüht Wikipedia auf seinem blutverschmierten Smartphone.

A (sehr schwach): Retardierendes Moment.
C: Und beim Schwank endet es nach dem Klimax?
A: Könnte man so sagen. Der sozial Schwächere wischt dem sozial Höherstehenden eins aus. Und denke dran: Never let some facts get in the way of a good story.
C: Versteh ich nicht.
A: Eine kurzes Beispiel…
C: … au ja.

C. bringt sich unmittelbar vor A. in den Schneidersitz. Seine Augen werden größer. Beide ab.

Szenenwechsel. 5. Akt; Der Ochse und die Fliege.

Black. A im weißen Anzug tritt in einen Spot. Und erzählt einen Monolog.

A: Ein Ochse auf dem Feld. Er pflügt. Da setzt sich eine Fliege auf seine Nase. Der Ochse fragt: „Was machst du da?“ „Ich“, sagt die Fliege, „ich pflüge.“

Black.