flausen.plus

Woche 3

 

15. Juli:
Wir verbringen den Tag getrennt – Simon ist noch stimmlos und das Quartett probt in Hannover. Wir lesen nochmal und extrahieren Texte aus den TKÜs, die teilweise in den TAZ-Artikeln vorkommen. Wir beschäftigen uns mit der Hamitentheorie und der rassischen Unterteilung in Hutu und Tutsi durch die Deutschen und Belgier. Konradin findet die abgeschaltete Website der FDLR in einem Archiv und wir kopieren daraus die Selbstdefinition der FDLR und konstrastieren ihn mit der Definition der FDLR aus der GBA Anklageschrift.

 

16. Juli:
Simon stösst zu uns, das Quartett probt weiterhin in Hannover. Wir schreiben Szenen aus den rekonstruierten TKÜs zu den Themen homepage, Prozess, Satellitentelefone und Probleme mit Ehefrau. Wir versuchen verschiedene szenische Umsetzungen der Telefongespräche und landen schliesslich bei reinem Audio, die Schauspieler sind hinten im Kabuff und hören leise FFH im Hintergrund, während sie das Telefongespräch „führen“. Da die Texte in umständlichem Deutsch geschrieben sind (da übersetzt aus dem Kinyaruanda) vereinfachen wir leicht, behalten doch Metaphern. Wir schreiben ein Gespräch, dass von Alltagsproblemen und der Ehefrau zum messianischen Monolog Murwanahsyakas führt und überlegen, diesen Monolog mit Musik zu kombinieren. Wir verzahnen die Selbstdefinition der FDLR und die GBA-Version (siehe Montag) miteinander zu einer Art Definitionsbattle, mit Wörtern, die später von den Musikerinnen mitgesprochen werden sollen. Hier kristallisiert sich textlich ganz gut heraus, dass der Kampf der FDLR auch einer der Worte ist, nämlich ob sie eben eine Terrormiliz oder eine Exilregierung ist.

17. Juli:
heute sind wir endlich alle zusammen und die etwas zähe Textarbeit der letzten Tage löst sich ein in szenischen Versuchen. Wir machen zu Anfang eine kleine Einführung in die Geschichte Ruandas, hören uns dann das gesamte Musikmaterial zum ersten Mal in voller Besetzung an und probieren dann unterschiedliche Szenen aus der letzten Woche. Wir arbeiten am frühen nachmittag noch an der Zeugenbefragung, die ja mit einem Instrument nie so recht funktioniert hat. Wir finden einen interessanten Ansatz, dass das ganze Quartett spielt, aber nur Kathrinas Bratsche der Zeuge ist (Nahaufnahme Video, mit Post it „ZJ“), Kathrin „übersetzt“ und Lisa ist gleichzeitig Verteidigerin die Text hat uns spielt aber die Antworten mit dem Quartett auf dem Cello mit. Was sich über die Musikalisch ausdrucksstarken „Antworten“ des Zeugen auf macht, ist der Raum von einer komplexen Welt, die man nicht versteht, zumindest nicht im rationalen Sinne. Es zeigt sich aber auch, dass die Sprecher präzise und laut sprechen müssen, gewissermassen in gehobener Form und nicht völlig neben dem Quartett abzustinken. Die Bratsche mit dem Bezeichnungspost ist hier nicht als Körper verstanden, eher als Platzhalter, die Musik erzeugt die Wirkung. Als nächste Szene haben wir mit Gaffa eine Seite auf ein kaputtes Cello ohne Hals gelebt, dass war die Zeugin „Z6“ im Kongo. Das kaputte und geflickte Instrument mit den kläglichen Tönen erzählt sehr deutlich die Situation. Noch unklar ist für uns, ob Lisa solo spielt, oder ob alle Musikerinnen auf kaputten Instrumenten sie begleiten. Wir haben beides ausprobiert. Dann haben wir an den Performersituationen gearbeitet und das war ganz super – es hat erstmal einfach gut funktioniert in der Grundsituation der „Spannungen in der Gruppe“ und wir sind damit auch auf Simons Hometerrian gelandet. Es ergibt sich fast aus jeder Situation eine Möglichkeit der Debatte – warum muss Simon den Zeugen spielen nur weil er schwarz ist, warum muss Kathrin die Übersetzerin spielen, nur weil Sie Geige spielt (Kinyruanda und Geige lernt man beides nicht an einem Tag). Warum ist die Bratsche ein „Opfer“ etc. Es schwingt da auch immer ein Teil Repräsentationsdebatte mit – wer darf wen repräsentieren und wie und warum. Wir müssen jetzt gucken wir wir von den leichten lustigen „Performerszenen“ wieder mit Leichtigkeit in die Ernsthaftigkeit der strengen Form kommen. Zuletzt haben wir ausprobiert, zu welchen Musikstück der messianische Monolog Murwanashyakas passt (gespielt von Konradin hier), haben Arvo Pärts De Profundis versucht, was aber zu langatmig wurde und sind schliesslich bei Allegris Miserere gelandet., dass eingewoben wird in das Telefongespräch. Hier „morphen“ wir vom Telefongespräch mit FFH Musik im Hintergrund in eine Predigt und zurück.

18. Juli:
Wir probieren am morgen, das technische Set mit Funk Mikros so hinzukriegen, dass es geht. Wir nehmen uns das Telefongespräch vor, aus dem die christliche Predigt entsteht und probieren weiter mit Allegri’s Miserere. Wir versuchen kleine Eierer oder Fehler (wie leiernde Kassette oder Schallplatte) einzubauen, da das Bild sich schnell aufgebaut hat über die Musik. Am Ende singen die Streicherinnen vierstimmig, und suchen wir nach einer Form, den Gesang etwas ironisch zu unterwandern, probieren knarzende Stimmqualitäten, aber das wird nur lustig. Dann übertragen wir den Murwa-O-ton „Wer morgens, mittags, abends betet, der hat kein Problem.“ Das ist zwar auch lustig, stellt sich aber in der komische Ironie verspätet her, weil man erst zuhören muss, oder es eventuell auch gar nicht mitbekommt.

Am Nachmittag kommt dann Matthias Schubert und wir zeigen ihm die szenischen Umsetzungen seiner Kompositionen „Greift, „Anklageschrift“ und „Morsen“. Er arbeitet mit allen an der musikalischen Qualität der Stücke, was einen großen Unterschied macht, besonders in „Greift“ – die Notationen sind präziser gemeint als wir angenommen hatten. Hier macht sich aber auch eine Grundspannung bemerkbar – Musikalische Brillanz versus Inszenierung. Wir bauen das Ganze als Angriffsformation auf, was super aussieht, wenn Lisa auch eine Geige hat und jeweils zwei Streicherinnen das Instrument auf die andere Seiten nehmen, damit sich eine symmetrische AngriffsFormation ergibt (jeweils zwei Streicherinnen hinter einem Schauspieler). Darunter leidet etwas die musikalische Qualität. Es gilt also jetzt den bestmöglichen Kompromiss zu finden.
Mit dem Satz und den Troggern von „Il est tres important“, das ist weiterhin eine Baustelle, die wir auch mit Matthias nicht knacken konnten. Musikalisch ist das sehr schwierig, es tönt auch eher atonal und wir haben nicht so eine Idee, wie wir das benutzen können. Wir haben was versucht mit der FDL Selbstdefinition versus GBA, wo sich Simon und Konradin textlich batteln und immer dem Quartett Nummern anzeigen und damit Sequenzen aus dem Stück triggern, aber irgendwie hört man nicht mehr auf den Text und es wirkt ein bisschen simplistisch.
Auf jeden Fall haben wir noch zwei große Baustellen für die kommenden Tage und das ist die Busrungi-Befehlskette und die Operzeugenberichte (mit „Komm oh Tod“), sowie ästhetische und spielerische Wagnisse mit dem Quartett. Ob wir mal Geigen gegen die Wand werfen, Leichenberge bauen mit einem liegenden Quartett, mit einer Loopstation das zersplittern von Instrumenten aufnehmen, oder was auch immer, es fehlt noch ein bisschen szenische Radikalität.