Woche 1:

DIE BEOBACHTUNG
Unerwarteter Weise, hat die Beobachtung gleich zu Beginn der Forschungszeit für uns eine größere Rolle gespielt, als bei unserer Vorplanung erdacht. Wir haben gemerkt wie wichtig es für uns ist, die Räumlichkeiten des Theaters, uns gegenseitig, unsere eigenen Körper, sowie unsere innere Welt mit Zeit und Ruhe genau zu beobachten, um ankommen zu können und eine Basis für unsere weitere Recherche zu erschaffen.

Während unserer Auseinandersetzung mit der Beobachtung haben wir in verschiedenen Relationen zueinander und auf der Bühne experiment und die verschiedenen Wirkungen und Auswirkungen reflektiert. Fragen, die in uns aufkamen, handeln von konkreten bis hin zu abstrakten und philosophischen Bereichen:

Wie verändert sich die Beobachtung, wenn man die Augen ganz offen, halboffen, geschlossen hält?
Hört die Beobachtung bei geschlossenen Augen auf?
Wie kann man mit anderen Sinnen als den Augen sehen?
Wie verändert sich die Sicht beim Blinzeln?
Wie fühlt es sich an, wenn man ein Objekt betrachtet und sich vorstellt, dass es einen zurück ansieht?
Wie kann man durch etwas hindurch sehen? Was ist der Unterschied zwischen sehen, schauen und blicken?
Wie beeinflusst die Beobachtung einer anderen Person die eigene Haltung? Das eigene Gefühl und die Ausstrahlung?
Was lässt sich über Blicke transportieren?
Können Blicke sprechen?
Welche verschiedenen Blickwinkel gibt es?
Was passiert bei Augenkontakt?
Wie lange kann man einander in die Augen sehen? Was löst es ins uns aus?

flausen+2er stipendium RLP #3 LOGBUCH Woche 1 – Foto 1

SOMATISCHE IMPULSE

Anfang der Woche hat uns unsere Mentorin Mareike Buchmann besucht und uns in unserer Forschung unterstützt. In anregenden Gesprächen und durch von ihr angeleitete somatische Übungen konnten wir uns auf den Moment und unsere Körper einlassen. Bei Wahrnehmungsübungen und dem anschließenden Austausch ist unser persönlicher Bezug zur Thematik ist mehr in den Fokus
gerückt.

Welche Informationen trägt unser Körper in sich und wie kommen sie zum Ausdruck?
Wie wirken sich die ganzen Jahre Training und Disziplinierung auf unsere Körper aus?

PERSPEKTIVEN

Die Erkenntnis, dass die Realität eine Überlappung von Perspektiven ist und es keinen neutralen Standpunkt gibt war eine große Inspirationsquelle für unsere die tänzerische Forschung als Duo. Der Beobachter und die beobachtete Person lassen sich nicht ganz voneinander trennen, da sie sich gegenseitig beeinflussen.
Die Informationen die wir beim Beobachten bekommen beeinflussen die Perspektive aus der wir blicken und die Perspektive aus der wir blicken beeinflusst was für Informationen wir aus dem Beobachten ziehen…
Diese Wechselwirkung haben wir tänzerisch viel im Duo erforscht. Beim gemeinsamen Bewegen und gegenseitigen Beobachten wurde deutlich wie die Bewegungen, Impulse und Blicke einer Tänzerin die der anderen beeinflussen.

Wo sind unsere Blicke beim freien Improvisieren?
Wie können Bewegungen aus den Blicken heraus passieren?
Was passiert wenn wir immer nur das Körperteil bewegen welches von der anderen Tänzerin angeschaut wird?
Wie verändert sich unser körperlicher Ausdruck, wenn wir mit offenen oder geschlossenen Augen tanzen?
Wie können wir gemeinsam in einem Raum tanzen ohne in das Blickfeld der anderen zu geraten?
Wie können wir mit geschlossenen Augen gemeinsam tanzen ohne uns zu berühren?
Was passiert, wenn die Zuschauende plötzlich von der Tänzerin zurück beobachtet wird?

Aus den Übungen, die diesen Fragen nachgegangen sind, konnten wir unter anderem schließen, dass Blicke eine Macht in sich tragen, die die Beziehung zum Beobachteten beeinflusst. Es stellte sich die Frage zu unserer Beziehung zueinander. In weiteren Übungen haben wir aktiv mit diesen Beziehungsdynamiken gespielt.

Wie bewegst du dich wenn ich ganz nah bei dir stehe und dich nicht aus den Augen lasse?
Wie Blicke ich von oben herab?
Wie bewegst du dich wenn du den Blicken der anderen Person folgst?

ÜBERLAPPUNG, VERSCHMELZUNG, KONTAKT

In vielen Improvisationen hatten wir einen vertrauten und wohlwollenden Blick aufeinander, was das Gefühl in uns auslöste nicht beobachtet zu werden. Durch die gegenseitigen Einflüsse auf unsere Bewegungen kamen wir in einen organischen Austausch und hatten das Gefühl „Eins“ zu sein.
Diesem Gefühl sind wir in der Kontaktimprovisation weiter nachgegangen. Die Verbindung unserer beiden Körper zu einem einzigen „Körper“ gibt uns die Möglichkeit dem Prinzip der Überlappung (Superposition) aus der Quantenphysik nachzugehen. In der Quantenmechanik kann ein Teilchen mehrere Zustände zugleich haben und sogar an zwei verschiedenen Orten gleichzeitig sein, wenn es nicht beobachtet wird.

Wie bewegt sich ein Körper mit 4 Beinen?
Wie bewegt sich ein Körper, wenn ein Teil schwer und träge ist und der andere dynamisch und standhaft?

Die gemeinsame Körperlichkeit wollen wir nächste Woche weiter nachgehen um zu erforschen, wie wir verschiedene, vielleicht sogar gegensätzliche Zustände auf der Bühne koexistieren lassen können und die Möglichkeit haben, Perspektiven
aufzufächern, die in einer einzigen Realität beinhaltet sind.

flausen+2er stipendium RLP #3 LOGBUCH Woche 1 – Foto 2

 

VERZERRUNG, UNDEFINIERTHEIT

Vom nicht festgelegten und verschwommenen Zustand des unbeobachteten Quantenteilchens inspiriert haben wir versucht herauszufinden wie wir uns bewegen können, sodass wir optisch verschwimmen und nicht mehr klar definierbar ist wo genau sich unser Körper zu welcher Zeit befindet.

flausen+2er stipendium RLP #3 LOGBUCH Woche 1 – Foto 3

 

FORSCHUNG MIT DEM BÜHNENOBJEKT

Unsere Neugier, ein Bühnenbild zu entwickeln, dass einen Raum darstellt, in dem wir uns unbeobachtet fühlen, ist immer weiter gewachsen. Nach vielen Stunden der Überlegung, des „trial and errors“ und der Erkenntnisse, haben wir gegen Mitte der Woche das erste Mal unsere Bühnenbildinstallation im Bühnenraum erleben können. Unser Objekt mit seinen fließenden weißen Stoffwänden und der verstellbaren Höhe hat uns schnell als eigener, lebendiger Raum inspiriert und wir haben an den verschiedenen Möglichkeiten, die der Stoff in sich birgt experimentiert. Von unseren Sinnen geleitet haben wir uns zum ersten Mal in diesem besonderen Raum bewegt.

Wie fühlt sich der Stoff auf der Haut an?
Wie wirkt sich der verengte Raum auf uns aus?
Wie können wir mit der Luft in diesem Raum spielen und dadurch die Stoffwände
beeinflussen?

Danach haben wir mit Lichtquellen innerhalb und außerhalb des Objekts erste Versuche durchgeführt und die Möglichkeiten des Einblicks in diesen Raum erforscht. Dadurch haben wir spannende Erkenntnisse und neue Fragen zu Möglichkeiten der Verzerrung des Körpers, der Undefiniertheit und der verschiedenen Zustände des Potenzials des unbeobachteten Körpers erforscht.
Dazu hat uns die Perspektive der Beobachtung von außen sehr geholfen, da die Schattenspiele von innen nicht spürbar und erkennbar sind. Im Inneren fühlen wir uns abgeschottet, unsichtbar, unbeobachtet und isoliert von unserem Umfeld. Man sieht nur weiß um sich und der Stoff lässt bei unseren bisherigen Versuchen mit den Lichtquellen, nie die Möglichkeit zu, von innen nach außen klar sehen zu können, was uns in unserem Gefühl bestärkt, unbeobachtet zu sein.

Wir stellen uns noch viele Fragen, inwieweit verschieden starke und helle Lichtquellen sowie ihre Position sich auf uns, den Raum und die Schatten auswirken. Darüber hinaus ist es uns wichtig, tiefer die Wechselwirkung zwischen dem Bühnenbild und unserer Körperlichkeit zu erkunden. Dazu wollen wir nächste Woche noch viele verschiedene Optionen erforschen.

flausen+2er stipendium RLP #3 LOGBUCH Woche 1 – Foto 4

flausen+2er stipendium RLP #3 LOGBUCH Woche 1 – Foto 5

 

PROZESS

Je mehr Fragen wir uns diese Woche gestellt haben, desto mehr neue Fragen kamen in uns auf. Das Ganze potenziert hoch zwei, da wir beide vor lauter neuer Ansätze, Ideen und Inspirationen sprudelten. Wir haben gemerkt, wie eng vernetzt alle Einzelaspekte unseres Themas in unserer Recherche sind. Wir haben das Gefühl, dass unsere Ideen endlos abzweigen können und man dadurch die Orientierung verlieren kann. Wie weit wollen wir die Orientierung in unserer Forschung verlieren, als Teil des Prozesses? Inwiefern birgt der Verlust der Orientierung ein Potenzial an sich? Und wie sehr halten wir an unseren vorher erdachten Forschungsideen und Visionen fest?

Im Laufe der Woche haben wir immer mehr herausgefunden, wie wir uns in dieser Dynamik strukturieren, miteinander kommunizieren, aushandeln, und uns mit mehr Faszination anstelle des Gefühls der Überwältigung darauf einlassen, dem unendlichen Fragepotenzial nachzugehen.

POTENZIAL

Wie tanzt du wenn du alles darfst?
Wie tanzt du wenn alles richtig ist?
Wo liegt der Widerspruch in dir?

Grenzen spüren
Grenzen setzen
Grenzen überwinden
Grenzen folgen

Wie tanzt du wenn du keinem Bild dienst und keiner Idee folgst? Wem oder was folgst du dann?
Du bist ein weißes Blatt Papier. Was schreibst du heute darauf? Oder zeichnest du lieber?
Wie fühlst du dich vor einem weißen Blatt Papier?
Wie fühlt sich Potenzial an? Die Überforderung im Potenzial? Die Freiheit im Potenzial?
Was macht Dir darin Angst? Und wieso?

Du strahlst Potenzial aus.
Du musst nichts machen.
Du darfst nichts machen.

Die Pluralität einer Perspektive. Die Pluralität der Realität. Das Zusammenfallen von innen und außen.
Die Durchlässigkeit von Grenzen. Transparenz des Körpers. Haut als aktive Brücke.
Was ist das Potential dieser Residenz? Wie gehen wir mit allen Möglichkeiten um?