Mit großer Sorge und tiefer Solidarität möchten wir auf die alarmierende Situation des Royal District Theatre in Tbilisi, Georgien, aufmerksam machen. Unter der Leitung des renommierten Regisseurs Data Tavadze hat sich das Theater in den vergangenen Monaten durch sein mutiges gesellschaftliches Engagement zu einer wichtigen Stimmen im zivilgesellschaftlichen Protest in Georgien entwickelt.
Seit fast 180 Tagen steht das Ensemble im Zentrum der Protestbewegung – und ist nun massivem politischen und medialen Druck ausgesetzt.
Gezielte Diffamierung wegen der Inszenierung „LIBERTÉ“
Anlass der jüngsten Eskalation ist die Inszenierung „LIBERTÉ“, die von bestimmten Gruppen innerhalb der Kirche sowie von staatlich gelenkten Medien in Georgien als „blasphemisch“ und „LGBT-Propaganda“ bezeichnet wird. Grundlage dieser Vorwürfe ist ein illegal aufgezeichneter und aus dem Zusammenhang gerissener 30-sekündiger Mitschnitt der Aufführung, der ein Bild eines halbnackten Schauspielers und einen gesprochenen Textausschnitt enthält. Dieses Material wurde vier Tage lang im Stundentakt auf nahezu allen georgischen Propagandasendern ausgestrahlt.
Was als bewusste Falschdarstellung begann, hat sich rasch zu einer gefährlichen Hetzkampagne entwickelt. Das Patriarchat von Georgien drohte mit der Exkommunikation des Ensembles, was extremistischer Hetze und Gewaltaufrufen zusätzlichen Auftrieb verlieh.
Gewalt, Drohungen und Einschüchterung
Am 10. Mai 2025 eskalierte die Situation:
Ein rechtsextremer Mob versammelte sich vor dem Royal District Theatre, skandierte Gewaltparolen und forderte die sofortige Schließung der Einrichtung. Dabei wurden unter anderem die Wohnadresse von Data Tavadze öffentlich gemacht – ein klarer Aufruf zur persönlichen Bedrohung.
Sogenannte „Tytushki“, paramilitärische Provokateure, griffen sogar Zuschauer*innen körperlich an und bewarfen das Theater mit Eiern. Die Sicherheitslage ist inzwischen so ernst, dass Teile des Ensembles ernsthaft in Erwägung ziehen, das Land zu verlassen, um sich und ihre Angehörigen zu schützen.
„LIBERTÉ“ kann in Georgien nicht mehr gezeigt werden – Warschau springt ein
Angesichts der Bedrohungen ist es derzeit nicht möglich, „LIBERTÉ“ in Tiflis weiter aufzuführen. Eine letzte Aufführung fand am 18. und 19. Mai 2025 im Rahmen des Warschauer Theatertreffens statt. Das dortige Dramatische Theater Warschau hat sich in einem eindrucksvollen Zeichen der Solidarität bereit erklärt, das Stück weiterhin in seinem Spielplan zu zeigen – ein wichtiges Signal der internationalen Kulturgemeinschaft.
Kein Einzelfall: Systematische Angriffe auf Kunst und Kultur
Was dem Royal District Theatre widerfährt, ist kein isolierter Fall. In den vergangenen Monaten hat die georgische Regierung wiederholt kulturelle Institutionen und Einzelpersonen ins Visier genommen, die sich für demokratische Werte und Meinungsfreiheit einsetzen:
- Die einzige Schule für Dramatik in Georgien, die von Data Tavadze über 11 Jahre mit aufgebaut wurde, wurde von der Regierung geschlossen.
- Der Intendant David Doiashvili wurde als Direktor des Neuen Staatstheaters entlassen – es war das einzige öffentliche Theater, das die Proteste offen unterstützte.
- Schauspieler Andro Chichinadze, ebenfalls Teil dieses Ensembles, ist seit fünf Monaten unrechtmäßig inhaftiert, gemeinsam mit rund 50 weiteren politischen Gefangenen, deren Fälle teils ohne Anklage und Rechtsbeistand geführt werden.
- Gegen Data Tavadze wurde von der sogenannten „Anti-Maidan“-Bewegung – einer regierungsnahen Scheinopposition mit bekannten russischen Verbindungen – ein Gerichtsverfahren eingeleitet. Der Vorwurf: „Verletzung religiöser Gefühle“.
Ein Angriff auf die Kunstfreiheit ist ein Angriff auf uns alle
Was wir hier erleben, ist ein gezielter Versuch, kritische Stimmen zu unterdrücken und künstlerische Ausdrucksformen zu kriminalisieren. Es geht nicht nur um ein Theaterstück – es geht um den Kampf für Meinungsfreiheit, künstlerische Integrität und demokratische Teilhabe.
Wir fordern daher:
- Internationale Aufmerksamkeit für die Situation in Georgien
- Solidarität mit Data Tavadze, dem Ensemble des Royal District Theatre und allen mutigen Künstler*innen vor Ort
- Schutz und Unterstützung für jene, die bedroht oder inhaftiert sind
- Und vor allem: das Teilen und Weitertragen dieser Geschichte, damit sie nicht im Lärm der Propaganda untergeht