27.Juli 2021

Der Tag beginnt mit einem Einführungsgespräch über Zoom mit dem flausen+headquarter, vertreten durch Winfried Wrede und Chang Nai Wen sowie mit unserer Mentorin Susanne Tod und Ralph Würfel von unserem Residenztheater, dem Theaterlabor Bielefeld. Das Gespräch ist sehr hilfreich, um den Erwartungsdruck abzubauen und hat das Feuer ins uns und die Lust auf die Forschung erneut zum Lodern gebracht. Außerdem fühlen wir einmal mehr die schon jetzt bestehende enge Verbindung zu unserer Mentorin und freuen uns sehr, sie in der kommenden Woche live kennenzulernen und mit ihr in den Austausch zu treten.

Zu unserem fünfköpfigen Team haben sich auch zwei Dolmetscherinnen gesellt, die für uns die gesamte Forschungszeit zuständig sind. Über die Förderung durch das Integrationsamt Berlin haben wir dieses Glück, denn es ist uns wichtig, dass Athina eine durchweg barrierefreie Kommunikation mit allen Teammitgliedern und auch dem hauseigenen Personal hat. Auch wenn einige von uns gebärden können, so ist es doch wichtig, dass sich jeder ausreichend auf sein Arbeitsfeld konzentrieren kann, ohne in eine Dolmetscherrolle zu verfallen. In der Gruppe und mit den Dolmetscherinnen verständigen wir uns darauf, wie wir miteinander arbeiten wollen, welche Sprachen wir auf der Bühne verwenden können und wie und durch wen, wann wir Pausen- und Arbeitszeiten haben, usw. Wir legen fest, dass jeden Tag, jemand anderes ein Warm-Up gestaltet. Dabei soll es vor allem darum gehen, dass die Gruppe sich am Morgen gemeinsam auf den Tag eingroovt sowie die Körper und die Stimmen für die Proben aufgewärmt werden. Außerdem wollen wir, angelehnt an die ehemaligen flausen-Stipendiaten um Susanne Tod, eine stille Stunde pro Tag einführen. In dieser Stunde soll es darum gehen, dass alle nonverbal miteinander kommunizieren und dadurch ein Gespür dafür bekommen, wie es ist, nur auf den Körper und nicht die Stimme angewiesen zu sein.

Da wir bereits am Vortag eine Führung durch das Theaterlabor von Ralph Würfel bekommen haben, steht der heutige Tag vor allem im Zeichen der Vernetzung mit dem restlichen Theater und dessen Infrastruktur. So haben wir die große Freude, Jörn und Josha aus der visuellen Abteilung kennenzulernen und mit ihnen zu besprechen, wann und wie oft sie in den nächsten Wochen bei uns Foto- und Filmmaterial sammeln können. Auch ein Gespräch mit dem anderen Ralf findet statt, der uns in die hauseigene Technik einweist und uns (fast) freie Hand in allen technischen Belangen lässt, so dass wir eigenständig Licht und Ton bedienen können.

Nach der Mittagspause und dem Gespräch mit dem anderen Ralf nutzen wir die Zeit, um den Probenraum einzurichten. Dabei stellen wir fest, dass wir verschiedene Ansätze haben, einen Probenprozess zu starten, einen Raum zu erobern und einzurichten. Die einen starten gerne mit einem leeren Raum, während die anderen sich Requisiten und Kostüme zusammensammeln. Spannend!

Wir haben auch erfahren, dass im Haus gleichzeitig ein internationaler Workshop stattfindet, der wohl ähnliche Themen wie wir behandelt und an dem auch gehörlose Teilnehmer:innen aus Serbien beteiligt sind. Wir wollen uns unbedingt vernetzen und sind sehr neugierig!

Tagesresümee: Wir wollen loslegen! Aber erst morgen!

28.Juli 2021

Wir starten den Tag am Tisch. Die Aufgaben des Tages werden besprochen sowie der Telefontermin mit Holger Ruppert vom Fernsehteam von „Sehen statt Hören“ für morgen im Laufe des Tages festgesetzt.

Danach gestaltet Sarah das Warm-Up mit allen, wobei Körpererwärmung, interaktive Spiele sowie Stimme und Artikulation im Fokus stehen.

Dem folgt die Idee einer Familienaufstellung mit Helm als Bild für den Vater Stefan: anders als geplant, kommen beide Spielerinnen schnell ins Improvisieren statt bei der puren Aufstellung zu bleiben. Dabei wird überraschenderweise sofort der ganze Roman durchimprovisiert bis zum Anfang des zweiten Romans. Dies haben wir im Anschluss im Team besprochen und ausgewertet. Dabei gewinnen wir neue Erkenntnisse: wie gestaltet sich das Verhältnis zwischen Mutter und Tochter – wann ziehen sie sich an, wann stoßen sie sich ab? Es ist auch spannend zu sehen, wo die Zeitsprünge liegen und was ausgespielt wird: wir merken, dass wir konkrete Momente finden müssen, um konkretere Szenen entwickeln zu können. Uns fällt außerdem die Bedeutung rein visueller Situationen auf, die ganz und gar nicht bilingual aufgelöst werden müssen. Auch das fehlende Bedürfnis von Lautsprache sowohl der Spielerinnen als auch der Zuschauenden ist eine große und wichtige Beobachtung. Zudem ist es absolut für niemanden wichtig, welchen Hörstatus die Figuren haben. Danach spielen wir anhand der Notizbücher zu den beiden Figuren erste kleinere Etüden, wobei die Soundkulisse der im Nebenraum probenden Senioren fast ideal passt (Es wird das Lied „Bei mir bist du schön“ gespielt, welches hervorragend die Szene untermalt, in der die Mutter die Haare der Tochter kritisiert und zurecht macht.)

Aus bisherigem Mangel an konkreten Interaktionen zwischen den Figuren leitet sich ein kurzes Bedürfnis ab, bei der Szenenarbeit Sprache zu benutzen. Dies wird aber nach dem Ausprobieren direkt wieder verworfen, da das Bedürfnis nach Nonverbalität größer ist, um die Figuren zu entwickeln und in eine Beziehung zueinander zu bringen.

Nach einer Stunde Mittagspause (13-14 Uhr) gibt es den Einstieg in den Nachmittag mit Dani, der ganz im Zeichen nach der Suche nach Bewegungsmaterial steht. Dieser wird anfänglich auch vom Film- und Fototeam begleitet. Es gibt ein kurzes Warm Up und eine Runde „Wie gehts mir“ im Körper mit allen. Dem schließt sich die Wolkenübung an: dabei regnen Emotionen auf die Spielerinnen von oben, die sie in erste Bewegungen über emotionale Vorgänge bringen. Danach sollen die Spielerinnen Adjektive sammeln zu ihren Figuren. Diese werden auf dem Boden ausgebreitet und beide beginnen eine Reise durch die Eigenschaften ihrer Figuren, die sie (diesmal von unten) überkommen. Dem folgt eine Auswertung und Beschreibung dessen, was wir gesehen haben. Interessant dabei: bereits auf der Reise kommt es zu Interaktionen zwischen den Figuren. Danach bauen beide Spielerinnen sich aus den Adjektivzetteln und Klebeband ihre Plattenbauwohnung. Wir müssen Kreppband besorgen, um die Wohnung am nächsten Tag noch greifbarer zu machen. Wir steigen daraufhin mit Kapitel 10 und 11 als konkretes Szenenmaterial für die Wohnung direkt in eine Spielszene ein. Es kommt anschließend die Frage auf, ob es eine Notwendigkeit von untermalenden Geräuschen (Mickey Mousing/Comic-Geräusche) gibt? Welche Gewichtung haben visuelle und akustische Reize? Sie müssen immer gleichberechtigt sein!

Wir beobachten außerdem: die Figuren bzw. die Spielerinnen entwickeln gerade eine eigene Kommunikationsform, sowohl privat als auf der Bühne. Wir stellen somit fest: Theater bietet eine eigene Sprachform, die jeder versteht! Da keine Textvorlage existiert, ist auch der Druck weg, bereits eine bestimmte Form der Kommunikation von vornherein auszuüben. Es macht frei, eine eigene Sprache miteinander zu entwickeln, die für jeden verstehbar ist.

Feedbacks des Tages am Tisch: Die Lichtsituation ist anstrengend für Athina, da die Konzentration immer mal wieder nachlässt. Die Dolmetscherinnen sollen außerdem immer in der Nähe des Sprechenden sein. Die Spielerinnen haben das Bedürfnis nach Einzelentdeckungen ihrer Figuren, währenddessen soll es morgen dann parallel dazu Musikstunden mit Jan geben, um mit Musik und Sounds zu experimentieren.

Tagesresümee: Der Tag war so wundervoll und bunt wie drei Tage!

Hausaufgabe: Kapitel 10 und 11 lesen. Athina bekommt die Kamera und darf fragmentarische Fotos in den nächsten Tagen machen.

29.Juli 2021

Wie jeden Morgen beginnt der Tag am Tisch mit der Vorstellung des Tagesplans. Dem folgte das tägliche Warm Up mit Sarah und Dani: „Wie gehts mir“ im Körper, Emotionen größer machen im Kreis, Raumlauf mit verschiedenen Tempi- und Wahrnehmungsübungen sowie Stimm- und Artikulationsübungen.

Im Anschluss haben wir die Gruppen geteilt. Jan und Athina haben die erste Schlagzeug-Session durchgeführt. Dort hat Jan mit Athina eine Art „Hörtest“ gemacht: Was kann Athina im Raum hören und wie tief und wie laut (mit und ohne Hinschauen) nimmt sie Frequenzen wahr? Dem folgt ein Vor- und Nachspielen auf dem Schlagzeug sowie Figurenbezogene Gefühls-/Rhythmusübungen. Zur gleichen Zeit führen Felicia und Dani ein Figurengespräch mit Sarah. Dabei rekapitulieren wir die biographischen Stationen Jadzias und versuchen, daraus Charaktereigenschaften abzuleiten.

Danach wechseln wir die Gruppen. Sarah trommelt mit Jan: sie produzieren „unangenehme“ Geräusche auf dem Schlagzeug, machen einen Rhythmustest und Stellen sich die Frage, was es bedeutet, wenn wir als Hörende Musikideen haben bzw. was müssen wir für die Forschung mitbedenken bzw. wie können und dürfen wir für ein hörendes und gehörloses Publikum mitdenken? Außerdem kommen ihnen verschiedene Ideen für alternative Percussionsinstrumente auf der Bühne.

Im Figurengespräch mit Athina zur gleichen Zeit, wird vor allem das Verhältnis Dominikas zu den anderen Figuren besprochen. In beiden Figurengesprächen stellen wir fest, dass es schwierig ist, sich durch die fragmentierte Romanform den Personen zu nähern und planen uns noch näher am Buch weiter Figurenmaterial suchen.

Nach der anderthalbstündigen Mittagspause führen wir gemeinsam ein Telefonat mit dem Redakteur Holger Ruppert von Sehen statt Hören (BR), um den Interviewtermin am 09.08. inhaltlich konkreter zu besprechen. Danach berichten wir uns am Tisch gegenseitig über den Vormittag und wie der Tag weitergehen kann. Dem folgt eine gemeinsame Trommel-, die auch gleichzeitig unsere heutige Schweigestunde ist. Wir finden auch dort wunderbares Material für andere Kommunikationsformen unserer Figuren auf der Bühne.

Im gemeinsamen Fazit des Tages treffen wir eine Entscheidung zur Forschung in den nächsten Tagen: erstmal wollen wir egoistischer denken und das Publikum erstmal nicht mitbedenken, um mehr Freiheit im ersten Inszenierungsprozess zu haben.

Tagesresümee: Unsere verschiedenen Kommunikationsformen und Arbeitsweisen sind wie Musik/Rhythmus. Kommusizieren!

30.Juli 2021

Wir starten wie gewohnt den Tag am Tisch: wir entdecken einen neuen Satz und ein Foto in den Figurenheften, besprechen den Tagesplan und die Wohnsituation Jadzias und Dominikas sowie die daran angepassten Spielaufgaben.

Dem folgt das Warm Up mit Jan (körperliche Erwärmung und Rhythmus-/Sprachübungen). Danach kleben Sarah und Athina ihre „Wohnung“ ab und richten sie ein. Dem schließen wir unserer stille Stunde an, in der beide eine Szene improvisieren, um ihre jeweiligen Figurenkörperlichkeiten zu finden. Sarah beispielsweise klebt sich den Finger ab, um Jadzia klarer zu definieren, es kommen mehr reale Gegenstände zum Spiel dazu, z.B. die Hygienestation und wir finden Kreide und Ablecken als Provokationsmittel zwischen den Figuren.

Danach werten wir gemeinsam das Gesehene aus und stellen fest, dass wir bereits sehr viel Material und Ideen gesammelt haben.

Nach der Mittagspause arbeiten wir wieder in zwei verschiedenen Gruppen: zuerst untersucht Jan mit Sarah Requisiten auf akustische Tauglichkeit und übersetzen Sprache in Musik, während Felicia, Dani und Athina sich Dominikas Körperlichkeit annähern. Danach tauschen wir die Gruppen: Jan und Athina übersetzen gemeinsam Musik in Sprache und das Regieteam findet gemeinsam mit Sarah heraus, dass der Motor von Jadzias Körperlichkeit immer eines Außenblickes bedarf. Bevor wir in die anschließende schnelle Feedbackrunde gehen, prüft Jan mit den Spielerinnen, welche Basswellen Athina über die Boxen wahrnehmen kann, wenn ein Kochtopfdeckel über einem Mikrofon angeschlagen wird.

Als Tagesabschluss findet das Dramaturgiegespräch mit Ralph statt, mit dem wir gemeinsam unsere erste Woche im Rückblick besprechen und auswerten. Fazit und gleichzeitiges Tagesresümee: wir befinden uns in einer absoluten Luxussituation mit der Forschung! Unser Wochenresümee: Tu doch nicht so rennen, du Wirbelwind!

Wir sind jetzt sehr gespannt auf die nächste Woche und freuen uns wie die Königspudel, mit unserer Mentorin Susanne in die Woche zu starten!

Fotograf: Jörn Josiek