Die sich ankündigende Limitierung des Nährstoffs flausen+ setzt das Kollektiv unter leichten Stress, der wiederum zur Sortierung von szenischen Ansätzen, unerwarteten Verwirbelungen und Impulsen hoher Intensität des bis dahin so organisch fortlaufenden Prozesses führt. 

Frage 1: Wie verändert sich unsere Forschung durch das anstehende Ende der Residenz und des Making-Offs? Welche Fragen beschäftigen uns in der letzten Woche der Residenz? 

Wir haben die entstandenen szenischen Ansätze gesammelt, sie auf ihre Relevanz überprüft und uns von einigen Ansätzen verabschiedet. In einer weiteren kollektiven Diskussion sortierten wir die verbliebenen Ansätze noch einmal. Dabei fanden wir heraus, ob eine Weiterarbeit am Ansatz während des Making-Offs den Ansatz anreichern kann oder eher nicht. Einige Ansätze verschwanden vorerst in unserer imaginären “Schatzkiste” für die Zukunft.

Wir haben gehadert, geplant und dann nochmal alles verworfen und liegen gelassen. Wir haben auf der Bühne nach dem Risiko gesucht.
Wir haben uns gefragt, was es für uns bedeutet, inhaltlich und formal mutig zu sein.
Wir haben uns gefragt, was wir von einem Publikum wollen.
Wir haben uns Tools überlegt, wie wir Entscheidungen treffen können.

Wir haben uns zunehmend auf das Making-Off konzentriert und eine Struktur dafür gefunden. Wir haben den Abend schließlich in 3 Phasen unterteilt.  Die erste Phase ist die “Starterkultur”-Phase, in der wir im Vorführmodus sind und einen sehr klaren, festgelegten Ablauf verfolgen. Darauf folgt die “Gärung”-Phase, die anhand von Spielregeln strukturiert ist, deren Ablauf aber offen und auch zum Teil aufs Publikum gerichtet angelegt ist. Für die dritte Phase einigten wir uns darauf, eine Art Playground zu eröffnen, auf dem wir, gemeinsam mit dem Publikum, Dinge ausprobieren können, die wir z.B. nur in einer Gruppe machen können oder für die wir keine Zeit hatten.

Wir haben angefangen über Arten des Theatermachens zu diskutieren. Über Improvisation und Festschreibung. Über z.B. Texteingabe und die Performance dessen oder im Gegensatz dazu über freie Räume und tatsächliche Ereignisse.

Uns war es ein Anliegen, Menschen aus unterschiedlichen, für unsere Forschung interessanten beruflichen Kontexten in unserem Publikum zusammenzuführen.

Wir haben über Formalitäten gesprochen und festgestellt, dass wir nicht immer die gleiche Sprache sprechen.

Wir haben uns Fragen gestellt:

Wie kann eine Impulseingabe für die Gruppe zu einem fruchtbaren Impuls werden?
Wie können wir einen Impuls klar aufbauen, sodass es nicht zu viele, übereinander gelagerte Eingaben von Fantasiebildern und formalen Instruktionen gibt?
Wie können wir Spielregeln im theatralen Raum so festlegen, dass sie den Spieler*innen helfen ins freie Spiel zu kommen?
Wie gehen wir mit Produktionsdruck um und nehmen gleichzeitig die Bedürfnisse der Einzelpersonen weiterhin wahr?
Wie umfangreich wollen wir den theoretischen Impuls halten. Wann ist er stark genug?
Wie weit können wir Disziplinen “verschmieren” und trotzdem noch Theater machen?

Frage 2: Welche ökonomischen, ökologischen, politischen, historischen und feministischen Implikationen in Bezug auf Bakterien entpuppen sich als besonders wichtig für uns?

Was können wir als Kulturschaffenden von bakteriellen Dynamiken lernen? Wir beginnen unsere Kulturarbeit als Prozess der Gärung zu begreifen. Am Anfang gibt es eine oder in unserem Fall 5 Starterkulturen, die Impulse geben. Ist eine Nährlösung, in unserem Fall Flausen+, vorhanden, kann sich die Kultur ausdehnen und wachsen. Der Horizontale Gentransfer steht dabei für uns als Metapher für Skillsharing und lateralen Austausch von Impulsen und Informationen.

Wir haben über staatliche, gesellschaftliche und historische Regulationen von bakteriellem Austausch zwischen Menschen gesprochen.
Wir haben gemeinsam versucht abstract sex von Luciana Parisi zu verstehen und uns gefragt welche Technologien wir eigentlich genutzt haben. Außerdem versuchten wir die sogenannte feminine microline Parisis nachzuvollziehen. Dabei informierten wir uns auf Wikipedia über verschiedene Arten von DNA Weitergabe und Verdopplung und die Unterschiede verschiedener Reproduktionsarten von Lebewesen. Wir haben das Wort „ficken“ untersucht und uns unser Sprechen über Sex bewusster gemacht. Wir haben uns darüber ausgetauscht, wie wir “dirty talk” benutzen und ob und wie wir während des Sex sprechen.

Eine von uns benutzt “dirty talk”  für Erzählungen des Verschmierens, nicht nur von Menschenkörpern untereinander, sondern auch für Menschenkörper mit allem Möglichen, z.B. mit Matsch.

Wir haben Teile des Buchs Symbiotischer Planet von Lynn Margulis laut gelesen und die Schöpfungsgeschichte des Lebens aus dem Schleim nachgefühlt. Wir diskutierten über uns bekannte Schöpfungsgeschichten und inwiefern sie jeweils das Bewusstsein für die Gegenwart verändern.

Wir haben trotz Reichsbürger*innen-Razzia die nationalsozialistischen sowie kolonialen  Implikationen rund um die Diskurse und Konstruktion von Hygiene und Immunsystem angerissen und auf ein anderes Mal verschoben.

Wir haben etwas über Verschränkungen von bakterieller Arbeit und kapitalistischer Wirtschaftsweise von unseren Gesprächspartner*innen lernen können. Dabei spielen Patente eine wichtige Rolle. Die Vermarktung von mikrobieller Arbeit war Impuls für unsere Endszene des Making-Offs, bei dem wir unsere Mikrobiome bewerben und anschließend mit einem Antibiotikum roden.

Beim Naturschutz-Bund Marburg wurde uns berichtet, dass der Schutz von Bakterien nicht auf ihrer Agenda steht. Sie erklärten uns, dass es Schlüsseltiere in Ökosystemen gibt und vermuteten, dass mensch davon ausgehen könne, dass wenn die Lebensräume der Schlüsseltiere erhalten bleiben, auch die der Bakterien in ihrer Diversität erhalten bleiben. Der Mikrobiologe des Max-Planck-Instituts fand die Vermutung plausibel, doch machte er sich auch für einen “Bottom-Up” Naturschutz, der von den Bakterien aus denkt und agiert, stark.

Frage 3: Welche szenische Herangehensweisen ergeben sich?

Wir haben uns als nährendes, haltendes, mal mehr mal weniger aktives Wurzelnetz zu den Songs “Ceremonial Song”, “Scalene” und “Forest Coloss” von mobilegirl über die Bühne und um einen Menschenkörper verwoben, ihn aktiviert und ihn wieder in den Boden zurückgeholt.

Wir haben alle zusammen in eine Glaskugel gespuckt und unser Mikrobiom auf dem Parkplatz des TnT verteilt.

Wir haben über die Bauarten von Toiletten in verschiedenen Kulturen gesprochen und wie dies mit der Inspektion des Stuhls zusammenhängt. Durch einen Zufall, war es uns doch noch möglich, eine Stuhlprobe in einem Labor untersuchen zu lassen. Die Ergebnisse stehen noch aus.

Aus 17 Seiten Tonmitschnitt der Dialoge zwischen dem Käser der Landkäserei Marburg und uns haben wir einen Dialog entwickelt. Dieser wiederum wurde fürs Making-Off auf 6 Seiten gekürzt.

Wir sind an der Lahn ausgeschwärmt und hatten einen “techno somatics drift”. D.h. Wir sind mit dem Set Homemade Drift Mix Tian Rotteveel  auf den Ohren vom Theater aus gestartet und haben anhand von Quorum Sensing entschieden, wo wir als Gruppe bleiben oder wohin wir driften. Die einzige Regel war die, dass wir zusammenbleiben. Wir haben die Ausformungen des uns umgebenden Landschaftskörpers und dessen Aggregatzustände erkundet. Unsere Körper haben aufeinander und miteinander reagiert. Wir haben die Mauern angetanzt, uns angetanzt und Menschen getroffen, die Teil unseres Drifts wurden, weil sie gerade ihren Morgensport gemacht haben.

Wir haben unsere Antworten des selbst entworfenen Fragebogens zu bakteriellen Utopien und Dystopien von “Dr. Hannah Verena Rebecca Bickhoff” in einer Improvisationsübung miteinander geteilt.

Wir haben uns in einer Improvisationsübung darüber ausgetauscht, was für uns ein Risiko bezüglich des Making-Offs bedeuten würde.

Wir haben unsere eingegebenen Übungen ausführlich besprochen und Möglichkeiten gesammelt, den Verlauf der Übungen, z.B. durch die Eingabe von weiteren Scores, zu beeinflussen.

Wir haben Probiotika verteilt und Brottrunk probiert.

Wir sind dabei geblieben im “Wir zu sprechen”

Frage 4: Wie verbinden wir uns und unsere Forschung mit dem konkreten Ort und den Menschen, die hier arbeiten und leben? Wie gestaltet sich unser Alltag abseits von Produktionsmomenten und Theater Räumlichkeiten?

Wir waren im Aquamar Marburg schwimmen.
Wir waren auf einer Dub Party im Kulturzentrum Trauma. Das selbstgebaute Soundsystem von Island Report Soundsystem hat unseren Körper vibrieren lassen und möglicherweise den Stoffwechsel der uns innewohnenden Vielheiten damit erleichtert.
Wir haben allerlei Menschen, die wir während der Residenz getroffen haben, zu unserem Making-Off eingeladen und ihnen bereits das Konzept des Publikums als Feedbackschleife nahegelegt. Im Making-Off Publikum waren schließlich ein Mikrobiologe, eine Pilzforscherin, Menschen vom Naturschutzbund, Studierende der Fachrichtung Naturschutz und Biodiversität und eine größere Zahl von Menschen mit Theaterhintergrund vertreten.
Wir haben Yoga mit Adrienne gemacht und Trauma Releasing Exercises auf YouTube ausprobiert.
Wir haben gemerkt, dass unser Körper mal wieder richtig lachen muss.
An einem anderen Tag musste etwas in uns weinen.
Wir haben zum Abschied gemeinsam im Cafe Blé Noir Crêpes und Cidre zu Abend gegessen und getrunken.
Wir haben uns das Buch Die Gabe von Marcel Mauss bestellen lassen.
Wir haben auf Tische gewartet und über mixed signals geredet.
Wir haben teilweise unsere Kontostände transparent gemacht.
Wir haben Reste gegessen. Wir haben aufgeräumt.

Frage 5: Welche Erfahrungen nehmen wir aus dem Making-Off mit? 

Behauptungen sind umso interessanter, je schwieriger es ist, ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. z.B. eine wissenschaftliche Lücke mit Behauptung füllen.

Wir haben gemerkt, dass Publikums Erfahrung unersetzlich ist.

Eine von uns konnte der Theaterwelt entliehene Begriffe wie z.B. “Raum halten”, “Spielregeln etablieren”, “sich anspielen” .. mit ersten Erfahrungen füllen.

Wir haben gelernt, dass wir auf die, dem Publikum innewohnenden Vielheiten vertrauen können. Sie sind aktiv und speisen die Wirt*innen mit ihren eigenen Assoziationen und Bildern. Dazu können schon Gesprächsfetzen ausreichen.

Das Publikum darf abgeholt werden.

Uns wurde gespiegelt, dass wir gut darin waren, einen wohlwollenden Ort zu eröffnen, an dem Partizipation Spaß machte.

Wir haben realisiert, dass wir keine Expert*innen sein müssen, sondern uns eher als Vermittler*innen, Fragesteller*innen, Agent*innen und Spieler*innen verstehen.
Für unsere Kulturen,Stämme und Mikrobiome ist die Residenz Intimität unter Fremden eine Vier-Wochen-Performance. Das Theater unserer Gefährt*innen fand 24/7 statt. 

Für uns doch auch, oder?

I think we’re losing where you end and we begin. 

Biofilmgeschichten ????