Woche 3

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Postcards from Lübeck (Fiona)

Ich liebe mittlerweile das Ritual mir die Zeit zu nehmen zum einen meinen Tag Revue passieren zu lassen und zum anderen einer mir lieben Person zu schreiben. Obwohl es auch nicht ganz leicht ist und viel Disziplin erfordert wirklich jeden Tag zu schreiben. Ja, der Kontakt ist sehr wackelig, auch weil er einseitig ist, aber dennoch fühle ich so eine Art von Verbundenheit. Besonders, wenn ich Rückmeldung bekomme, dass die Karte angekommen ist und die Person sich freut. Auch zu dokumentarischen Zwecken ist es sehr hilfreich. Jeden Tag passieren hier so viele Dinge, ich kann im Kopf kaum Schritt halten damit. In einem Dokument sammele ich sie auch alle, Vorder- und Rückseite, kollektiv-intern dürfen sie auch gelesen werden. Dementsprechend sind aber natürlich auch keine sehr persönlichen Details darin vorhanden. Nur oberflächlich sind sie trotzdem aber auch nicht.

Augen zu und los (Nastia)

Mein Fokus ist während der Residenz sehr auf das Thema Augenkontakt gewandert. Wir haben Augenkontakt auf verschiedene Weise erprobt: interne Übungen im Probenraum zu viert, Stadtbeobachtungen und ein Workshop. Bei den internen Übungen ging es vor allem darum, als Gruppe den Raum einzunehmen und Augenkontakte entstehen zu lassen. Kurze, lange, in Bewegung oder im Stillstand. Da wir eine kleine Gruppe von vier Personen sind, war es spannend, die Dynamik zu beobachten bzw. zu erfahren. Wer schaut jemanden an und wer lässt sich anschauen? Was bedeutet es, wenn der Kontakt abbricht? Wie nehme ich Augenkontakt auf und wie lange will ich ihn halten? Will ich überhaupt Augenkontakt, oder nehme ich eine Beobachter*innenposition ein? Wir haben diese Übung in unterschiedlichen Abwandlungen gemacht. Besonders interessant wurde es, als unsere Mentorin Anneke da war und wir auch sie in den Prozess mitgenommen haben. Sie hat die Gruppendynamik verändert und eine neue Perspektive eingebracht. Allein, dass wir mit ihr eine ungerade Anzahl an Personen waren, hat die Konstellation von zwei Paaren aufgebrochen.

In den Feedbackrunden haben uns Fragen gestellt wie: Wie lernt man sich über Augen kennen? Wie unterschiedlich sind Blickkontakte? Was sieht man in den Augen der anderen? Warum ist es schwierig, Menschen in die Augen zu sehen?

Bei der Stadtbeobachtung ging es darum, alleine durch die Stadt zu gehen und zu beobachten, wie Menschen in Kontakt treten. Wir haben das zweimal gemacht und festgestellt, dass beide Male der Fokus teilweise anders war. Das war von der eigenen Stimmung abhängig, davon wohin man gegangen ist und ob man mehr geschaut oder zugehört hat. Nach der zweiten dieser Beobachtungen haben Stefan und ich noch etwas ausprobiert: Ich hatte die Augen zu, er hatte sie auf und hat mich durch die Stadt navigiert. Wir sind eine Strecke von 1,3 Kilometern gegangen, vom Burgtor bis zum Krähenteich. Ich konnte Stefan komplett vertrauen und mich ganz auf Geräusche, Gerüche und die Bodenbeschaffenheit konzentrieren. Spannend war auch zu erfahren, dass ich die Strecke mittlerweile so gut kenne, dass ich oft wusste, wo wir sind. Entweder, weil ich den Dönergeruch wahrgenommen habe, oder weil ich gehört habe, wie Menschen sich über Cold Brew unterhalten, oder weil Stefan mich auf einen Trinkbrunnen hinwies. Es gab immer wieder Marker, die ich meinen Erinnerungen an den Weg zuordnen und mich so verorten konnte. Zum Thema Augenkontakt habe ich zwei Workshops im Theater angeleitet. Da ich nicht viel Werbung gemacht habe und wir auch kein Netzwerk in Lübeck haben, war das erste Mal eine Person da und das zweite Mal zwei. Ich hätte den Workshop gerne auch mit mehr Leuten durchgeführt, aber auch in der kleinen Gruppe haben die Übungen funktioniert. Es war schön zu sehen, wie sich fremde Personen aufeinander einlassen können und wie sich ihre Wahrnehmung verändert hat.

Letter eXchange (Alex)

Es ist inzwischen schon Teil unserer Routine geworden, den Tisch an den Ort in der Nähe des Krähenteichs zu bringen. Manchmal bleiben wir ein bisschen auf einer Bank sitzen und beobachten, wie Menschen Briefe schreiben und manchmal machen wir einfach weiter mit unserem Tag. Ich habe erste Nachrichten bekommen von Freunden aus München, die an dem Experiment teilgenommen haben, dass sie Briefe bekommen haben. Auch wir haben alle teilgenommen und jeder hat schon einen Brief erhalten. Ich habe meinen Brief gleich geöffnet, andere wollen ihn nach München geschickt bekommen, wo er auf uns wartet, wenn wir wieder zurück zuhause sind. Mein Brief war sehr berührend und hatte viele persönliche und inspirierende Sätze. Er liegt in meinem Notizbuch und immer mal lese ich ein paar Zeilen nochmal. Der Rest der Woche war teilweise aufgrund des Wetters nicht leicht. Viel Regen und Wind haben uns gezwungen, das Tischprojekt zu pausieren. Dafür habe ich mehr über ein Indoor- Format in Cafes und der St. Petri Kirche nachgedacht. Es ist spannend, wie das Briefeschreiben in sich eine Art Performance wird. Ich habe mich gefragt, was die Rolle der Beobachter und Passant:innen ist und wie die Konzentration und die Nachdenklichkeit der schreibenden Person eine faszinierende Wirkung hat. Für die letzte Woche möchte ich noch mehr Orte finden und auch selbst gerne noch einen Brief schreiben.

A room to meet – Bewegungsworkshops (Alex)

Im zweiten Workshop haben wir die Übungen weiterentwickelt und neue Ebenen erarbeitet. Wieder sind wir ausgegangen vom Kontakt mit uns selbst, mit dem Raum und mit anderen. Wir haben mit einem Warm-up und einer Imagination angefangen. Danach haben wir in einer Spiegel-Übung, in der Person A, Person B spiegelt, kleine Duette entwickelt, die sich im Raum bewegen. Im letzten Schritt haben wir Duette erarbeitet, in dem die Personen durch Körperkontakt zusammen ein Bild kreieren, aus dem eine Person heraus schlüpft und die zweite Person wie versteinert in der Haltung verharrt. Es war spannend, welche unterschiedlichen Geschichten dort entstehen konnten und ich freue mich darauf, im letzten Workshop noch weitere Bedeutungsebenen zu integrieren.

Wackelkontakt – Dialog der Unbekannten (Fiona)

Diese Woche ist das Experiment zu Ende gegangen. Ich hatte viel Spaß und die anderen auch. Außerdem habe ich auch viel dazugelernt. Sollte ich etwas Ähnliches noch einmal machen, würde ich die Struktur anders wählen. Die Wahl es über Discord laufen zu lassen hatte Vor- und Nachteile. Einerseits war es so getrennt von anderen Chat-Apps, andererseits war das Einrichten eines Accounts schon auch eine große Hürde. Obwohl ich im Vorhinein natürlich auch eine klare Anleitung verfasst habe, war auch die nicht klar genug und es gab ein paar Probleme, der Start war komplizierter als ich mir das gedacht hatte.. Was das Stellen der Fragen anging, war ich aus vielerlei gründen nicht sehr konsequent, was zu Verwirrung geführt hat, auch hier gibt es Verbesserungsbedarf. Anstatt jeden Tag eine Frage zu schicken, wäre ein Fragenkatalog beispielsweise vielleicht besser gewesen. In einem Fall ist der Wackelkontakt sogar komplett gescheitert, weil der/die Chatpartner*in abgesprungen ist. Der rest hatte aber ganz wunderbare Interaktionen und die Offenbarung darüber, wer mein Wackelkontakt ist, ist auch spannend. Noch ist das Geheimnis jedoch nciht gelüftet. Ich habe außerdem natürlich alle Wackelkontakte zu unserer Abschlusspräsentation eingeladen.

Unter 2 Augen (Stefan)

Das Treffen mit unserer Mentorin hat mir viele gute Anstöße bezüglich der Durchführung gegeben. In Gesprächen und Besprechungen von Beispielen, die sie vorbereitet hatte, kamen folgende zu beachtende Punkte auf: Ort und Art der Bank, welche Orte sind öffentlich genug, um gefunden zu werden und ruhig genug, um eine Privatsphäre zu ermöglichen? Wie hebt sich die Bank genügend vom Umfeld ab, um direkt als Kunstobjekt erkannt zu werden? Wie kann ich das als Performer noch zusätzlich mit einem Kostüm verstärken, um nicht als Privatperson anwesend zu sein, sondern auch in dieser “Kunstfunktion”? Wie können andere involvierte Personen außenrum dem ganzen eine zusätzliche Legitimation verschaffen? Ich bin gespannt, die Performance jetzt in den nächsten Tagen auszuprobieren und zu sehen, wie sie angenommen wird, welche Kontakte und Momente daraus entstehen und was vielleicht trotz aller Besprechung im Vorfeld nicht wie geplant funktionieren wird.

Treffen mit unserer Mentorin Anneke:

In der letzten Woche fand das Treffen mit unserer Mentorin statt. Zum einen führten wir einen Austausch über den Stand der einzelnen Projekte durch. Wo steht was? Welche Probleme, Schwierigkeiten, künstlerischen Unsicherheiten gibt es? Daraufhin gab es Feedback und Anregungen von ihr, wie man diese Probleme lösen kann. Dafür hatte sie auch eine Präsentation mit bekannten Installationen und Performances im öffentlichen Raum vorbereitet und wir redeten darüber, wie diese effektvoll wirken und Menschen zum Partizipieren bewegen.

Zum anderen nahm sie an unseren Übungen und Workshops teil und war einen Tag lang ein normaler Teil unseres Teams. Daraus entstanden gute Gespräche darüber, wie man z.B. mit anderen Menschen in Kontakt tritt und welche Orte besonders dafür geeignet sind. Auch war es spannend, wie wir als Gruppe zusammen in Kontakt treten und eine gemeinsame Sprache finden um über künstlerische und kreative Dinge zu reden. Alles in allem war der Besuch von und Austausch mit Anneke sehr bereichernd und anregend.

Solos

Im Rahmen von Improvisationen, die Alex angeleitet hat, haben wir vier an kleinen Solos gearbeitet. Hierzu hat Alex uns individuelle Stichworte gegeben. Da es uns bei [Wackel]Kontakt auch um den Kontakt mit uns selbst geht, haben wir eine Übung zu unseren Körpern und Organen gemacht. Wir haben in die jeweiligen Körperregionen reingehört und versucht, sie bewusst wahrzunehmen. Wir haben uns im Raum bewegt, mal als Augapfel, mal als Darm, mal als Lunge oder Herz. Die zugeteilten Stichworte waren: Fiona – Stimme & Transport, Stefan – Lunge & Herz, Nastia – Spannung & Text, Alex – Lauschen & streichender Blick. Wir haben eigenständig an den Solos gearbeitet und sie dann einander vorgeführt. Es war schön, eine Aufführungssituation im kleinen Kreis für uns zu kreieren und zu sehen, wie die anderen ihre Stichworte umgesetzt haben. Wir planen, die Solos bei der Abschlusspräsentation am 9. Juli zu zeigen.

Was sonst noch passiert ist:

In Lübeck hat sich der Sommer kurzfristig verabschiedet und Kälte und Regen haben sich eingenistet. Davon haben wir uns aber nicht die Laune verderben lassen. Ein Strandbesuch am Wochenende war davor noch drin und bei einem Trip nach Hamburg haben wir eine Zwischennutzung in einem Kaufhaus erkundet, die dem lübchen Übergangshaus ähnelt. Wir dachten, dort vielleicht eine Kontakt-Performance ausrichten zu können, das hat sich aber leider nicht ergeben. Außerdem wurden wir von Sigrid eingeladen an der „Petrivision“ teilzunehmen, einer Veranstaltungsreihe, bei der um 23:00 Uhr für eine Stunde in der Kirche St. Petri zu Lübeck verschiedenste Performer*innen und Redner*innen auftreten. Das Thema diesmal ist Sprache und wir dürfen einige Gedichte vortragen. Daran haben wir auch etwas gearbeitet. Wir werden dort auch eines unserer Projekte, den Letter eXchange aufbauen dürfen. Außerdem hat Fiona intern einen Sprach- und Gesangsworkshop gegeben und wir haben morgens regelmäßiger Warm Ups gestartet, was der Tagesstruktur überaus gut tut.